Versicherungsunternehmen kann private Krankenversicherung außerordentlich kündigen
BGH, 07.12.2011 – IV ZR 50/11, IV ZR 105/11
Mit der Einführung der generellen Pflicht auf Abschluss einer Krankenversicherung wurde es Versicherungsunternehmen gemäß § 206 I Versicherungsvertragsgesetz (VVG) verboten, Pflichtversicherungen zu kündigen. Lange Zeit bestand Unklarheit darüber, ob dieses Kündigungsverbot auch eine außerordentliche Kündigung wegen schwerwiegender Vertragsverletzungen ausschließt. Der BGH bestätigte zwar das allgemeine Kündigungsverbot von Pflichtversicherungen, lässt in einigen Fällen jedoch Ausnahmen zu.
Kündigung wegen schwerwiegender Vertragsverletzungen
Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, ein pensionierter Polizist, unterhielt bei der Beklagten eine private Krankheitskosten- und Pflegepflichtversicherung als Restkostenversicherung zu seinem Beihilfeanspruch. Die Ehefrau des Klägers, die von Beruf Ärztin war und ihren Ehemann medizinisch betreute, hatte in den Jahren 2007 bis 2009 insgesamt 168 Medikamentenbezüge in Rechnung gestellt. Tatsächlich wurden jedoch viele der Medikamente nicht bezogen und bezahlt, wodurch eine Überbezahlung von 3800 Euro vorlag. Aufgrund des Abrechnungsbetruges kündigte der Versicherer bis auf die Pflegeversicherung alle Versicherungsverträge. Der pensionierte Polizist widersprach der Kündigung und reichte Klage ein. Er begehrte die Feststellung, dass der Versicherungsvertrag zwischen den Parteien auch weiterhin fortbesteht.
Die teleologische Reduktion des § 206 I VVG
Zentraler Gegenstand der rechtlichen Beurteilung durch den BGH war die Einzelnorm des § 206 I VVG. Trotz des eindeutigen Wortlauts der Schutzvorschrift muss die Norm nach der Auffassung der Richter genügend Freiraum für eine dem Sinn und Zweck entsprechende Auslegung haben. Ziel des § 206 I VVG ist es, eine außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs auszuschließen. Auf diese Weise will der Gesetzgeber die Grundversorgung aller Bürger im Gesundheitswesen sicherstellen. Die Vorschrift diene allerdings nicht dazu, dass die Versicherungsgeber in jedem Fall gezwungen seien, auch an für sie unzumutbaren Versicherungsverträgen festzuhalten. Dies bedeutet, dass das Recht des Versicherungsunternehmens zur Kündigung des Krankenversicherungsvertrages gemäß § 314 BGB nicht durch die Bestimmung des § 206 I VVG ausgeschlossen werde. Nach Ansicht des BGH muss jeder Vertragspartner eines Dauerschuldverhältnisses die Möglichkeit haben, sich von einem Vertragspartner, der Leistungen erschleicht oder andere Straftaten gegenüber dem Versicherer begeht, zu lösen.
Kündigung der Pflegeversicherung nicht möglich
Trotz der außerordentlichen Kündigung der Versicherungsverträge bestehe immer noch ein ausreichender Versicherungsschutz des Klägers. So hat der Gekündigte weiterhin Anspruch darauf, gem. § 193 V VVG bei einem anderen Versicherer im Basistarif nach § 12 Ia VVG versichert zu werden. Etwas Anderes gilt hingegen bei der Pflegepflichtversicherung. Bei dieser Versicherungsart ist jede außerordentliche Kündigung nach § 110 IV SGB XI ausgeschlossen, da hier sowohl das Fehlen eines Basistarifs als auch die Entstehungsgeschichte der Norm einer teleologischen Reduktion entgegenstehen. Zuletzt hatte der Kläger eingewendet, dass er von dem Abrechungsbetrug seiner Ehefrau angeblich nichts wusste. Im vorliegenden Fall muss sich der Kläger jedoch das Verhalten seiner Frau zurechnen lassen. Dem Versicherten darf es nicht freistehen, den Versicherer schlechter und sich besser zu stellen, indem er einen Dritten an seine Stelle treten lässt.