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Krankentagegeld – Rückzahlung bei Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente?

LG Lübeck, Az.: 4 O 56/15

Urteil vom 16.10.2015

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.742,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.09.2014 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Krankentagegeld - Rückzahlung bei Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente?
Foto: endomotion/Bigstock

Die Beklagte unterhielt bei der Klägerin eine Krankentagegeldversicherung nach dem Tarif KTZ. Insoweit wird auf die Versicherungsscheine vom Mai 2011 und März 2013 (Anlage K 3, Bl. 30, 30 R d. A. und K 2, Bl. 19f. d.A.) sowie die vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen RB/KT und TB/KT 2009 (Anlage zum Schriftsatz der Klägervertreter vom 23.09.2015, Bl. 48 bis 53 d. A.) Bezug genommen.

Im August 2012 erkrankte die Beklagte und konnte ihrer Berufstätigkeit nicht mehr nachgehen. Die Klägerin leistete daraufhin für die Zeit vom 25.09.2012 bis 01.08.2014 die vereinbarten Krankentagegeldzahlungen in Höhe von 15,00 € pro Kalendertag.

Im Juli 2014 wurde der Beklagten rückwirkend ab 01.07.2012 eine Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt, von der sie die Klägerin im August 2014 in Kenntnis setzte.

Gemäß Abrechnungsbescheid vom 09.09.2014 wurde der Beklagten für die Zeit vom 01.07.2012 bis 31.08.2014 eine Erwerbsunfähigkeitsrentennachzahlung in Höhe von 11.823,80 € gewährt, von der 11.035,40 € zur Erfüllung von Erstattungsansprüchen an die BKK Mobil Oil und die Arbeitsagentur Kiel wegen gewährter Leistungen in der Zeit vom 01.07.2012 bis 23.04.2013 bzw.09.09.2013 bis 23.07.2014 überwiesen wurden und der Beklagten selbst lediglich der Restbetrag von 788,40 € ausgezahlt wurde. Ab 01.09.2014 erhielt die Beklagte die vollen monatlichen Rentenzahlungen. Sie lebt von dieser Rente in Höhe von monatlich 580,11 € und einer ergänzenden Grundsicherung in Höhe von monatlich 260,75 €. Über Vermögen verfügt sie nicht.

Mit Schreiben vom 02.09.2014 forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung zum 23.09.2014 erfolglos zur Rückzahlung von 10.035,00 € auf, die sie in der Zeit vom 02.10.2012 bis 01.08.2014 an Krankentagegeld bezogen hatte.

Die Klägerin ist der Ansicht, sie könne gemäß § 15 Satz 2 RB/KT die Rückzahlung der geleisteten Krankentagegeldzahlungen verlangen.

Nach Abzug des von ihr errechneten Beitragsguthabens in Höhe von 292,63 € verlangt sie Zahlung von 9.742,87 € und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.742,87 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.09.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht: § 15 Satz 2 RB/KT könne im Wege der Auslegung nicht auf den Fall einer rückwirkenden Rentengewährung angewandt werden, dies umso mehr, wenn die Nachzahlung wie hier durch die Zahlungen an die BKK Mobil Oil und die Arbeitsagentur fast vollständig aufgezehrt werde. Aufgrund dieser Zahlungen sei sie nicht bereichert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Klägerin steht nach dem Versicherungsvertrag i. V. m. § 15 Satz 2 RB/KT ein Anspruch auf Rückzahlung von 10.035,00 €, durch die selbst vorgenommene Verrechnung mit dem Beitragsguthaben von 292,63 € reduziert auf 9.742,37 €, zu.

Zum 01.07.2012 ist ein Ereignis im Sinne von § 19 Satz 1 RB/KT eingetreten. Seitdem bezieht die Beklagte Erwerbsunfähigkeitsrente.

Das Merkmal „Bezug“ der EU-Rente ist dahin auszulegen, dass dieser mit dem Zeitpunkt beginnt, für den die Rente erstmals bewilligt wird.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach der Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse auszulegen, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und verständig – unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs – würdigt (Prölss/Martin, WG, 29. Auflage, Einleitung Rdnr. 260 m.w.N.).

Dabei ist zunächst der Wortlaut unter Berücksichtigung des Sprachgebrauchs des täglichen Lebens von Bedeutung (Prölss/Martin, a.a.O.).

Die Formulierung, dass jemand eine Rente „bezieht“, lässt zumindest auch die Interpretation zu, dass diese ihm zusteht, auch wenn die Bewilligung rückwirkend erfolgt und die Auszahlung sich demgemäß verzögert. Der Bezug einer Rente als Eintritt eines Ereignisses kann rein sprachlich nicht nur darauf bezogen werden, wann bzw. in welchem Zeitraum die Rente gezahlt wird, sondern auch darauf, für welchen Zeitpunkt oder Zeitraum das geschieht.

Entscheidendes Auslegungskriterium ist hier der dem Versicherungsnehmer erkennbare Sinn und Sinnzusammenhang der Regelungen (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., Rdnr. 261).

Eine Krankentagegeldversicherung dient der sozialen Absicherung einer erwerbstätigen Person (BGH, NJW-RR 1992, 669). Das ergibt sich unmittelbar aus § 1 Abs. 1 RB/KT, wonach der Versicherer Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall bietet. Aus § 1 Abs. 1 und 3 RB/KT ergibt sich zugleich, dass die Absicherung nur für eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit gewährt wird. Aus § 8 Abs. 2 RB/KT lässt sich dementsprechend ableiten, dass der Krankentagegeldversicherungsschutz entfallen soll, wenn eine Erwerbstätigkeit aufgenommen wird oder Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eintreten, die als dauerhafter Zustand die – nur vorübergehende – Arbeitsunfähigkeit ausschließen (vgl. BGH, a.a.O.) – dies mit der Einschränkung, dass zugunsten des Versicherungsnehmers im Falle der Erwerbsunfähigkeit nicht nur deren Eintritt, sondern auch die entsprechende Absicherung durch eine Erwerbsunfähigkeitsrente maßgeblich sein soll.

Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass es für das Ende des Versicherungsschutzes und damit auch für die Rückzahlungspflicht gemäß § 15 Satz 2 RB/KT nur auf den Zeitpunkt bzw. Zeitraum ankommen kann, für den die Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen wird. Insbesondere bleiben alle schutzwürdigen Belange des Versicherungsnehmers gewahrt, wenn er nicht für den selben Zeitraum Krankentagegeld und eine Erwerbsunfähigkeitsrente beanspruchen kann (vgl. BGH, a.a.O.).

Wollte man demgegenüber auf den Zeitpunkt der Auszahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente abstellen, so käme man zu unterschiedlichen und willkürlichen Ergebnissen, je nachdem, ob eine solche Rente gleich zu Beginn einer Erwerbsunfähigkeit bewilligt und ausgezahlt wird oder – wie hier – erst nach längerer, aber im Einzelnen nicht absehbarer Zeit.

Dass der Beklagten die Rentenzahlungen zu einem großen Teil nicht ausgezahlt wurden, weil sie im Wege der abgekürzten Leistung an die BKK Mobil Oil und die Arbeitsagentur Kiel als ihre Gläubiger abgeführt wurden, ändert an dieser Bewertung nichts. Auch auf diese Weise ist sie in den Genuss der Rente gekommen, indem sie von anderen Zahlungsverpflichtungen befreit wurde.

Von dem Ereignis des Bezuges der Erwerbsunfähigkeitsrente hat die Klägerin erst später Kenntnis erlangt und die Beklagte hat die von der Klägerin zurückverlangten Leistungen in Höhe von 10.035,00 € erhalten, ohne dass diese von der Klägerin geschuldet waren.

Auf die Frage eines Wegfalls der Bereicherung kommt es nicht an. Ein solcher wäre nur im Rahmen von § 818 Abs. 3 BGB zu berücksichtigen. Der Anspruch aus § 15 Satz 2 RB/KT ist aber ein vertraglicher Anspruch, der Vorrang vor einem solchen aus ungerechtfertigter Bereicherung hat (BGH, a.a.O., 671).

Die Klägerin hat gemäß § 288 Abs. 1 BGB auch Anspruch auf Zahlung von Zinsen auf die Hauptforderung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.09.2014.

Die Beklagte ist aufgrund der nach sofortiger Fälligkeit (vgl. § 271 Abs. 1 BGB) erfolgten Mahnung vom 02.09.2014 gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Ablauf der bis zum 23.09.2014 gesetzten Zahlungsfrist in Verzug geraten.

Umstände, aufgrund derer sie den Zahlungsverzug nicht zu vertreten hätte (§ 286 Abs. 4 BGB), sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere ist fehlende Zahlungsfähigkeit kein Entlastungsgrund (Palandt, BGB, 74. Auflage, § 276 Rdnr. 28).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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