Krankentagegeld nur bis zum Eintritt der Berufsunfähigkeit – Berufsunfähigkeitprognose kann auch rückschauend erfolgen
Erklärung des Urteils des Bundesgerichtshof, vom 20.06.2012 – IV ZR 141/11
Der Versicherer kann alle erhobenen und ihm bekannten medizinischen Befunde nutzen
Der Bundesgerichtshof hat in einer Leitsatzentscheidung (Urteil vom 20. Juni 2012, Az.: IV ZR 141/11) verkündet, dass sich der Versicherungsgeber bei einer Krankentagegeldversicherung auch auf Untersuchungsergebnisse berufen darf, die erst nach der Leistungseinstellung bekannt geworden sind. Entscheidend für den Zeitpunkt der Berufsunfähigkeitsprognose ist dabei, wann das Versicherungsunternehmen das Ende der Leistungspflicht des Krankentagegeldes behauptet.
Der Sachverhalt
Im zu entscheidenden Streitfall klagte eine selbstständige Maklerin aus dem Finanzdienstleistungssektor gegen ein Versicherungsunternehmen, bei der die Klägerin eine Krankentagegeldversicherung hielt. Nachdem die Klägerin mehrfach arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde, hatte ein von der Beklagten beauftragter Gutachter festgestellt, dass sie zum 31.03.2006. berufsunfähig gewesen sei. Mit Schreiben vom 03.04.2006 teilt man der Klägerin mit, dass sie von einem Gutachter für berufsunfähig erklärt wurde und die Leistung aus der Krankentagegeldversicherung zum 30.06.2006 eigestellt werde. Die Versicherungsnehmerin erhob daraufhin Klage und forderte eine Nachzahlung des Krankentagegeldes für den Zeitraum vom 01.07 bis 15.12 2006. Neben dieser Nachzahlung in Höhe von 5.208 Euro begehrte sie zudem die Feststellung des Fortbestands des Versicherungsvertrages. Als Grund führte sie an, dass sie zwar arbeitsunfähig, jedoch nicht berufsunfähig gewesen sei.
Der Weg durch die Instanzen
Während des Prozesses vor dem Landgericht Köln wurde ebenfalls ein Gutachter bestellt, der die Berufsunfähigkeit der Beklagten feststellte. Nach der Einschätzung des vom Gericht beauftragten Gutachter trat die Berufsunfähigkeit allerdings erst am 23.06.2006 ein. Somit entschied das Landgericht, dass der Versicherer zumindest einen Teil des geforderten Geldes leisten solle. In der darauffolgenden Berufung gab das Oberlandesgericht der Klage abgesehen von einigen Teilen der Zinsforderung in vollem Umfang statt. Da der Grund für die Berufsunfähigkeit der Beklagten erst mehrere Monate nach dem streitigen Leistungszeitraum bekannt wurde, könne sie sich auch nicht darauf berufen. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts kann sich die Beklagte erst ab Kenntnis auf den Befund berufen. Gegen diese Auffassung wehrte sich wiederum das Versicherungsunternehmen und legte Revision ein.
Die Entscheidung des BGH
Das Urteil des Oberlandesgerichts wurde alleridngs nach einer rechtlichen Prüfung des BGH als juristisch fehlerhaft bewertet. Der BGH hob die Entscheidung auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung zurück. Entgegen der Ansicht des OLG Köln kann sich der Versicherungsgeber auch auf solche medizinischen Befunde berufen, die vor seiner Behauptung der Berufsunfähigkeit erhoben wurden. Hierbei spielt es keine Rolle, wann und zu welchem Zweck die Befunde gefertigt worden. Es ist ebenfalls unbedeutend, wann die entsprechenden Dokumente dem Versicherungsunternehmen bekannt geworden sind.
Bei der Berufsunfähigkeit gehe es um einen Zustand, der aus sachkundiger Sicht und für nicht absehbare Zeit prognostiziert wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Diagnose in allen Fällen als endgültig oder unveränderlich bewertet werden kann. Obwohl der Gutachter des Landgerichts dem Befund des Versicherers widersprochen hat, habe er dennoch die Berufsunfähigkeit für einen späteren Zeitpunkt bestätigt. Demnach ist die Klägerin ab dem 23.06.2006 als berufsunfähig anzusehen und die Einstellung der Leistungen durch die Krankentagegeld Versicherung war ab diesem Zeitpunkt zulässig. Da das Berufungsgericht in dieser Sache noch keine Feststellungen getroffen hat, ist die Sache zurückzuverweisen.